Viola Kramer: Komponistin, Electronics, Sängerin, Pianistin   
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RZ-Online Artikelarchiv vom 20.11.2003

Verblüffend organischer Ablauf

"Sax & Orgel" in der Christuskirche: Erlebnis jenseits aller Schubladen

MAINZ.Zeitgenössischer Jazz mit Einflüssen moderner E-Musik, wie es in der Ankündigung hieß? Oder eher moderne E-Musik mit einer starken Portion Jazz? Oder eine solide Mischung von beidem mit einer kräftigen Dosis Weltmusik und einer kleinen Prise Kirche? Eingeladen hat zwar die Mainzer Jazz-Initative "upart", und im Publikum mischen sich Jazzfans und Kirchenmusikfreunde, doch je länger man dem Duo Viola Kramer und Friedemann Graef bei ihrem Programm "Sax & Orgel" in der Christuskirche zuhört, desto unwichtiger wird die Frage, in welche Schublade die Aachener Keyboarderin, Sängerin und Kom-ponistin und der Berliner Saxophonist, Klarinettist und Komponist nun eigentlich gehören.
Viel spannender ist, was sich in und mit diesem Kirchenraum an Klang ereignet. Mit einer pendelnden Figur der linken Hand wirft Viola Kramer an der Orgel die Musik an. Dann legt sie mit der rechten Hand eine Akkordfolge darüber, und wenig später mischt sich das Sopran-Saxophon mit kurzen, durchdringenden Rufen von der Seitenempore ein. Nicht ohne Distanz verbindet sich das Flächige, fast Architektonische des Orgelklangs mit dem modulationsfähigen und immer wieder neu modellierten Saxophon-Sound, und dennoch finden beide Partner allmählich zusammen, sei es, dass das Blasinstrument eine Figuration übernimmt, sei es, dass das Tasteninstrument anfängt zu singen.
Im zweiten Stück wird der Dialog engmaschiger, im dritten erobert sich Graef in spielerischer Wanderung durch die Kirche das Erdgeschoss, im vierten steht auf einmal Kramer an der kleinen Truhenorgel in der Chorapsis und hebt über einer mittelalterlich anmutenden Klangfolge an zu singen: Aufgeraut, manchmal fast gepresst, dann mit kleinen spitzen Schreien wie von Vogelstimmen, wieder schluchzend, kratzend, stöhnend, bisweilen auch ganz melodisch.
Das Tenorsaxophon blendet sich von der Orgelempore aus ein, konzertiert mit der Stimme, doch unter aller pulsierenden Nervosität liegt als ruhender Pol das regelmäßig fortschreitende Organum.
Weitere acht Nummern umfasst das zweistündige Programm, jede zeigt ihr eigenes Gesicht, jeder liegt ein eigenes Improvisationskonzept zugrunde, und jede trägt, wie die Nachfrage bei den beiden Instrumentalisten ergibt, auch einen eigenen Titel. Aber, so Graefe, "die Namen der Stücke interessieren doch keinen!" Viola Kramers Erfahrung mit Computermusik erklärt ihre Vorliebe für klar erkennbare Pattern, für regelmäßige Taktfolgen mit kalkuliert eingesetzten Abweichungen und für die Überlagerung verschiedener Tempi und Ausdruckscharaktere (was sie "zeitliche" bzw. "emotionale Polyphonie" nennt).
Doch was im Gespräch nach Konstruktion klingt, wird unter Kramers und Graefes Händen und Lippen zum verblüffend organischen, spontan wirkenden Ablauf. Nach der Pause weitet sich das Programm im Ausdrucksgehalt noch ein wenig: Ein Teil der Stücke wird kurzatmiger und zupackender im Duktus, der andere strahlt eine fast meditative Ruhe aus. Die änderte sich, als die Zuhörer zum Schluss noch eine Zugabe herausklatschten.

Andreas Hauff
Hinweis: Dieser Artikel stammt aus unserem Archiv.
Die darin enthaltenen Informationen könnten inzwischen überholt sein!
http://rhein-zeitung.de/03/11/20/z/lok/00000545.html vom 20.11.2003 © Rhein-Zeitung / RZ-Online GmbH · 56073 Koblenz